KI: Arbeit neu denken

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde – klar. Fast alle gehen davon, dass es die Arbeitswelt drastisch ändern wird. Im Grunde weiß aber noch niemand wie; denn das, was passiert gemacht wird, ist im Grunde nur eine Effizienzoptimierung aktueller Arbeitsweisen. Um mehr aus der Technologie zu kriegen, braucht es anderes Denken.

Analogie: Elektromotoren in Fabriken

Im Buch „The Second Machine Age“ beschreiben die Autoren die Ablösung der Dampfmaschinen in Fabriken durch Elektromotoren. Dampfmaschinen waren teuer, mussten ständig mit Brennstoff versorgt werden, wurden heiß, waren wartungsintensiv und machten Schmutz. Also gab es in der Fabrik in der Regel eine zentrale Dampfmaschine, die die einzelnen Arbeitsmaschinen mit mechanischer Kraft versorgte.

Abb. Dampfmaschine aus https://de.wikipedia.org/wiki/Dampfmaschine

Weil mechanische Kraftübertragung über Riemen und Gestänge nur über kurze Distanzen gut funktioniert, wurde die Fabrik in allen drei Dimensionen um die Dampfmaschine herum gebaut. Oft erstreckte sich die Fabrik dadurch über mehrere Stockwerke.

Als der Siegeszug der Elektromotoren in den Fabriken begann, ging es zunächst im Kostenersparung, geringere Wartungsarbeiten etc. Also ersetzte man die zentrale Dampfmaschine durch einen zentralen Elektromotor.

Es brauchte eine Generation von Fabrik-Konstrukteuren, bevor man anfing, Fabriken neu zu denken. Elektromotoren brauchen nur Strom und der lässt sich einfach über größere Distanzen transportieren. Also kann man jede Arbeitsmaschine direkt mit einem eigenen Elektromotor ausstatten und ein Fabrik-Layout wählen, dass optimal zur Produktion passt und umständlichen Warentransport über Stockwerke hinweg vermeidet.

KI: Vorab

Wenn heute von KI gesprochen wird, ist i.d.R. nur ein Teilbereich eines Teilbereiches gemeint: LLM (Large Language Models). Der Blogpost spricht von KI; das ist einfacher und auch allgemeiner. Vielleicht entsteht der eigentliche Durchbruch erst in der Kombination von LLMs mit anderen KI-Disziplinen.

Das allgemeine Gefühl ist, dass KI disruptiv ist und ganz viel auf den Kopf stellen wird. Ob das wirklich so ist oder alles nur ein Hype ist, wird man erst hinterher bewerten können.

Außerdem gibt es eine ganze Reihe ungelöster Fragen, die berechtigterweise auch zur Ablehnung von KI führen kann, z.B.

  • Ist es rechtlich und moralisch in Ordnung, frei verfügbare, aber unter geistigem Eigentum stehende Daten des Internets zum Trainieren kommerzieller Software zu verwenden?
  • Wer hat die Verantwortung, wenn KIs Entscheidungen fällen oder Menschen auf Basis von KI-Informationen Entscheidungen fällen?
  • Will man sich den Vorurteilen der KIs (die aus den Vorurteilen der Trainingsdaten resultieren) ausliefern? (Rassismus, Sexismus etc.)
  • Wie sieht ein guter Umgang mit den Halluzinationen der KIs aus (KI „erfindet“ Dinge und stellt sie als Fakten dar)? Wie können wir sie als solche erkennen?
  • Will man sich den Zensurfunktionen der verwendeten KIs ausliefern? (chinesische und amerikanische KIs zensieren kritische Informationen zur eigenen Staatsführung). Darin liegt auch eine Gefahr, dass letztlich die Anbieter von KIs unsere Denkweisen beeinflussen oder manipulieren.
  • Ist der immens hohe Stromverbrauch der KIs akzeptabel? Schließlich steht die Klimakrise direkt vor unserer Haustür und wir haben bereits genug damit zu tun, den aktuellen Stromverbrauch auf erneuerbare Energien umzustellen.

All das lassen wir in diesem Blogpost außen vor.

KI als Elektromotoren?

Gehen wir in diesem Kontext davon aus, dass KI ganz viel ändern wird, dann kann es ja nicht darum gehen, sich Texte oder Bilder von einer KI generieren oder Fragen beantworten zu lassen, die man mit etwas Mehraufwand auch durch eigene Internet-Recherche ermitteln könnte. Das ist alles nützlich, führt aber am Ende im besten Fall aber doch nur zu einer überschaubaren Produktivitätssteigerung. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass man großflächig Customer Service-Mitarbeitende durch KIs ersetzt. Das spart Kosten, aber die Arbeitsweise bleibt am Ende doch gleich.

Falls KI die neuen Elektromotoren sind, müssen wir Arbeit ganz anders denken. Dazu gibt es kein Patentrezept; zum Glück (sonst würden das alle anwenden und würden alle zum gleichen Ergebnis kommen). John Boyd schlägt eine ständige Wiederholung von Analyse und Synthese vor (Boyds Arbeiten zu Patterns of Conflict).

  • Analyse: Die Einzelteile und ihr Zusammenwirken verstehen.
  • Synthese: Eine neuartige Zusammensetzung der Einzelteile finden.

Zu den Einzelteilen in der Analyse gehören die Teile der Arbeit, die wir betrachten. Und es gehört auch dazu, die Einzelteile zu verstehen. Wer nicht versteht, wie eine KI arbeitet und sie als eine Art Wunder ansieht, kann vermutlich ihr volles Potenzial in der Synthese nicht erkennen.

Für die Synthese braucht es freies Denken ohne Bedenken. Bestimmt hat die Nutzung des Potenzials der Elektromotoren auch wegen Bedenken so lange gedauert: „Dafür müssten wir ja die ganze Fabrik neu bauen und die ganzen gerade angeschafften Arbeitsmaschinen wegwerfen. Außerdem brauchen wir neue Gebäude mit viel mehr Fläche auf einem Stockwerk. Das gibt es hier gar nicht und wir müssten unseren Unternehmensstandort verlegen.“

Natürlich muss man die Nachteile und Risiken auch betrachten, aber erst nach dem freien Denken.

Und wer weiß: vielleicht müssen wir wieder eine Generation von Unternehmern abwarten, um zu verstehen, was wirklich möglich ist.

Tiefer einsteigen

Das Buch „The Second Machine Age“ aus dem Jahr 2018 von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee handelt im Kern von Digitalisierung und argumentiert, dass die Leistungsfähigkeit von Digitalisierung exponentiell steigt und dass wir uns noch im langsam steigenden Teil des exponenziellen Wachstums befinden. Das wenige Jahre nach Veröffentlichung des Buches KI die Welt auf den Kopf stellt ist sicher ein weiteres Indiz dafür. Das Buch beschreibt, warum es diesen Effekt bei Digitalisierung gibt, was die gesellschaftlichen Auswirkungen sind und wie man politisch damit umgehen kann (wenn immer mehr menschliche Arbeit entfällt, braucht es bedingungsloses Grundeinkommen, negative Einkommenssteuern oder ähnliches, damit sich die Marktwirtschaft nicht selbst zerstört).

John Boyd war Colonel des US-Militärs. Seine Arbeiten beziehen sich auf militärische Konflikte und Militärstrategie. Ein Teil seiner Erkenntnisse kann man aber gut auf Unternehmensstrategie, Leadership und Innovation übertragen. Schwierig ist, dass Boyd wenig Aufgeschriebenes hinterlassen hat. Am Umfangreichsten sind vermutlich die Videomitschnitte seines Briefings zu Patterns of Conflict, die auf Youtube verfügbar sind (wenn ich in sehr schlechter Qualität). Eine Übertragung von Boyds Ideen auf Unternehmensstrategie findet sich im Buch „Certain to win“ von Chet Richards. Das ist einfacher zu konsumieren.

Über den Autoren

„Wir müssen immer wieder das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.“ H. Hesse

E-Mail: stefan.roock@it-agile.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/StefanRoock/

Mein Name ist Stefan Roock und ich will eine bessere Arbeitswelt schaffen; eine in der Kunden von den Produkten und Services begeistert sind, Mitarbeitende ihre Arbeitsbedingungen lieben, Unternehmen erfolgreich sind und sich verantwortlich in der Gesellschaft verhalten. Ich helfe Menschen und Unternehmen dabei, ihre Potenziale für dieses Ideal zu entfesseln.

Ich verbreite und entwickle seit 1999 neue Arbeits- und Organisationsansätze in Deutschland. Das habe ich zunächst als Entwickler in agilen Teams, später als Scrum Master/Agile Coach und Product Owner getan. Ich habe seitdem mein Verständnis dessen, was für begeisternde Produkte und Arbeitsbedingungen notwendig ist, kontinuierlich weiterentwickelt. Besondere Produkte entstehen nicht dadurch, dass Teams „agil“ Anforderungen umsetzen. Stattdessen müssen Teams gemeinsam im direkten Kundenkontakt Produkte und Services gestalten.

Auf diesem Weg habe ich unter anderem die it-agile GmbH mitgegründet.


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